Freitag, 1. September 2017

17. Raffael Rheinsberg

Foto: Susann Becker

Foto: Susann Becker


Global
Goldglänzend stehen sie da in lockerer Formation als Feld von fünfeinhalb mal dreieinhalb Metern, mal vereinzelt, mal in Verdichtungen: Hunderte leerer Patronenhülsen unterschiedlicher Größe. Sie sind mit ihrer flachen Zünderseite am Boden aufgestellt und werfen je nach Lichtverhältnissen Schatten. Das verleiht der Installation den Eindruck realer Ansammlungen von Menschen oder größeren Gegenständen. Man könnte sie als Menschenmenge sehen, die hier zum Appell bestellt ist oder die zu einer Demonstration zusammengekommen ist. Beide Assoziationsmöglichkeiten passen zu einem gesellschaftlichen Ereignis, das 2001 konkreter Ausgangspunkt für diese Arbeit von Raffael Rheinsberg gewesen ist: der G8-Gipfel in Genua, jenes Treffen der weltumspannenden Wirtschaftsgiganten, das im selben Jahr in der italienischen Hafenstadt für ausgesprochen negative Schlagzeilen sorgte. Dass ein Demonstrant dabei durch einen Kopfschuss aus einer Polizeipistole getötet wurde, war nur die Spitze der Vorkommnisse, die auch im intensiven Nachgang bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind. Unverhältnismäßige Angriffe von Polizeitruppen auf friedliche Demonstranten und Reporter bis hin zu Folter und brutalem Zusammenschlagen zahlreicher wehrloser Menschen durch die Beamten führte nicht nur in Italien zu Demonstrationen von Hunderttausenden Menschen, sondern auch zu zahlreichen Prozessen und Verurteilungen derer, die ihren Dienststatus missbraucht hatten. Global nannte Rheinsberg seine Installation mit den Patronen, die er vermutlich auf dem Sprengplatz im Grunewald gefunden hatte. Noch 2001 stellte er sie erstmals im Göttinger Kunstverein aus, unmittelbar darauf im Marburger Kunstverein und in der Kieler Stadtgalerie. Derartige Reflexe zählten bei Rheinsberg zur Grundhaltung seines Kunstverständnisses, das er bereits 1975 in einem Manifest formuliert hatte: „interessensmittelpunkt der kunst, die ich vertrete, ist die existenz des menschen“. Und 1977 schrieb er, dass der Kunst eine besondere Rolle zukomme, weil nach meiner Meinung der Künstler eine gewisse Verantwortung in Bezug auf unsere Gesellschaft trägt.
Die Werke, die Raffael Rheinsberg dazu schafft, haben stets symbolisch-ironischen Charakter. Dabei bedient er sich der „Sprache der Gegenstände“, wie er es ausdrückt, und er baut auf das Assoziationsvermögen der Betrachter. So stellen die leeren Hülsen der Installation Global einerseits einen direkten sachlichen Bezug zu den Polizeischüssen von Genua her, sie schaffen aber auch durch ihre massenhafte Aufstellung jene Assoziationsmöglichkeiten zu Menschenmassen. Allerdings geht die Arbeit in ihrer Bedeutung weit über den Aspekt Genua hinaus, spricht sie doch auch ohne das Wissen um derartige Bezüge ihre Material- und Formensprache, die „Sprache der Gegenstände“ – die in diesem Fall letztlich gegen sich selbst gerichtet ist. Auch wenn Ordnung und Ästhetik dabei irritieren mögen – auch dies ist ein ironisches, ja zuweilen zynisches Prinzip des Künstlers. Ihm geht es um die Anklage gegen jeglichen Militarismus und Waffenfetischismus, um das Einfordern von Nachdenken und Friedfertigkeit. In zahlreichen Installationen hat Raffael Rheinsberg dieses Thema angesprochen, sei es in seiner Kieler Koffermauer-Klagemauer von 1977, in seiner Bombeninstallation Helden in der Berliner Nikolaikirche 2002 oder in seinen gemeinsamen Ausstellungen mit Lilli Engel, etwa im Berliner Olympia-Stadion 1989 sowie 2009 und 2013 in den Kriegsbunkern von Berlin und Kiel.
Die Werke, die Raffael Rheinsberg dazu schafft, haben stets symbolisch-ironischen Charakter. Dabei bedient er sich der „Sprache der Gegenstände“, wie er es ausdrückt, und er baut auf das Assoziationsvermögen der Betrachter. So stellen die leeren Hülsen der Installation Global einerseits einen direkten sachlichen Bezug zu den Polizeischüssen von Genua her, sie schaffen aber auch durch ihre massenhafte Aufstellung jene Assoziationsmöglichkeiten zu Menschenmassen. Allerdings geht die Arbeit in ihrer Bedeutung weit über den Aspekt Genua hinaus, spricht sie doch auch ohne das Wissen um derartige Bezüge ihre Material- und Formensprache, die „Sprache der Gegenstände“ – die in diesem Fall letztlich gegen sich selbst gerichtet ist. Auch wenn Ordnung und Ästhetik dabei irritieren mögen – auch dies ist ein ironisches, ja zuweilen zynisches Prinzip des Künstlers. Ihm geht es um die Anklage gegen jeglichen Militarismus und Waffenfetischismus, um das Einfordern von Nachdenken und Friedfertigkeit. In zahlreichen Installationen hat Raffael Rheinsberg dieses Thema angesprochen, sei es in seiner Kieler Koffermauer-Klagemauer von 1977, in seiner Bombeninstallation Helden in der Berliner Nikolaikirche 2002 oder in seinen gemeinsamen Ausstellungen mit Lilli Engel, etwa im Berliner Olympia-Stadion 1989 sowie 2009 und 2013 in den Kriegsbunkern von Berlin und Kiel.
[Autor: Jens Rönnau]




Raffael Rheinsberg

1943 geboren in Kiel
Lehre als Former und Gießer, MAK, Kiel
1973 Studium an der Muthesius-Kunst-Hochschule, Kiel
1979 Stipendium des Landes Schleswig-Holstein für Berlin, Künstlerhaus Bethanien
1983 Stipendium für PS1, New York
1984 Deutscher Kritiker Preis,
1988 Kulturpreis der Stadt Kiel
1994 Landes-Kunstpreis von Schleswig-Holstein

Raffael Rheinsberg starb am 27. August 2016 in Forst/Hunsrück