Einführung II

Suzana Leu M.A.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Ludwig Museum Koblenz



Nexus III: Lebendiges Band zwischen gestern und heute
Die Künstlerschau Nexus III ist die konzeptuelle Fortsetzung eines Erfolgsmodels, eines Dialogs zwischen „Alt“ und „Neu“ nämlich, entwickelt während der beiden zuvor gegangenen Ausstellungen Nexus I (2002) und Nexus II (2014), die in den Räumen des Mittelrhein-Museums stattgefunden haben. Anders als bei diesen beiden Ausstellungen waren nun, bei der Präsentation auf der Festung Ehrenbreitstein nicht mehr einzelne Kunstwerke Ausgangspunkt des kreativen Dialogs, sondern ein Raum mit seiner Geschichte, seinen unterschiedlichen Funktionen, Assoziationen, aber auch in seiner Materialität, mit Objekten und Fundstücken, die in ihm vorhanden sind, die ihn prägen und die durch ihn geprägt sind. Wenn dieser Raum ein Erinnerungsort ist, in dem sich Koblenzer und deutsche Geschichte manifestiert, so nehmen die Kunstwerke Bezug auf diese Vergangenheit und Gegenwart, dechiffrieren sie, inszenieren sie, deuten sie aber auch um, interpretieren sie neu, umspielen sie kreativ. Spannungen entstehen zwischen dem objekthaft Vorhandenen und dem subjektiven Blick der Künstlerinnen und Künstler, ihrer Sensibilität, ihren Assoziationen und Reflexionen, ihrer Phantasie, ihren Träumen und Alpträumen. Damit reichern die Kunstwerke den Raum der Festung an, potenzieren ihn in seinen Bedeutungen, erweitern ihn zu einem Kunstraum, einem Raum des künstlerischen Dialogs.
Mit dem Mittel der malerischen Collage, in die historische Fotoaufnahmen integriert sind, geht Vera Zahnhausen ein auf den Bedeutungswandel, den die Festung Ehrenbreitstein im Lauf der Jahrhunderte erfahren hat: von der mittelalterlichen Burg zur Residenz des Kurfürsten, Zitadelle, Museum, Gefängnis, Archiv, Flüchtlingsunterkunft. In ihren Collagen, in die historische Fotoaufnahmen integriert wurden, betont sie ausdrücklich diesen besonderen Aspekt der Festungsgeschichte von einer kriegerischen Nutzung, hin zu einem friedlichen Ort der Begegnung von Mensch, Kultur und Natur. Beim Besuch der Festung fielen Franziskus Wendels  die zahlreichen Fluchtschilder auf, auf denen eine laufende Figur mit Pfeil und Rechteck abgebildet ist. Anders als üblich, erschienen sie dem Installationskünstler nicht als bloße Indikatoren von Fluchtwegen, sondern animiert und beinah als Kommentare zum Einwirken der Festung auf ihre Besucher. Neugierige Fragen nach dem Grund für die im Laufen begriffene Figur waren der Ausgangspunkt für die kreisrunde, aus Fluchtschildern bestehende Außeninstallation Escapade auf der Wiese oberhalb der Festung und für die Installation Exit im ehemaligen Aufenthaltsraum der Wachtposten. Gemeinsam ist den beiden Installationen die Idee, dass Ehrenbreitstein sowohl der bedrohliche Ausgangspunkt von militärischen Angriffen, als auch zugleich Zufluchtsort, Wohn- und Schutzraum für seine Bewohner sein konnte. Diese Doppeleigenschaft der Festung, die bis heute sichtbar geblieben ist, galt es auszudrücken. Die preußische Geschichte der Festung Ehrenbreitstein ist in vielen Kunstwerken Thema. So in der Außeninstallation Preußisches Alphabet von Christiane Schauder, die das autoritäre, auf Militär, Zucht, Ordnung gegründete System Preußens in den Mittelpunkt stellt. Ihre Arbeit besteht aus großgeschriebenen, schwarzen Wörtern auf weißen Plastikfolien. Die durch den Wind bewegten Folien lassen eine Reihe von Wörtern, von A wie „Arrest“ bis Z wie „Zucht“, einem Mahnmal gleich aufscheinen. Die Kritik der Künstlerin gilt nicht allein der Staatsmacht Preußen, sondern jedem totalitären System, ob der Vergangenheit oder der Gegenwart zugehörig, in dem Menschenwürde, Individualität und Gerechtigkeit keine Gültigkeit besitzen.
Eine Kanone als Referenzwerk für die eigene Arbeit wählt Ute Krautkremer. Die große Anzahl der Kanonen auf Ehrenbreitstein ist Symbol und Ausdruck der militärischen Größe und Stärke der Festung im 19. Jahrhundert. Die zylindrischen Formen zweier Baumscheiben, welche oberhalb der historischen Kanone aufgehängt wurden, zeigen die Spuren eines Kanonendurchschusses und führen die immense Durchschlagskraft historischer Waffen vor Augen. Sabine Hack bezieht sich mit ihrer Installation Kanonenfutter auf die im Kanonengang der Festung befindliche Haubitze. Die Szene mit den unbekümmert spielenden Spatzen im direkten Schusswinkel der Haubitze ruft die Redewendung „Mit Kanonen auf Spatzen schießen“ in Erinnerung. Somit erscheint Sabine Hacks Arbeit zugleich auch als ein ironischer Kommentar zum allzu menschlichen Streben nach Macht, das am Ende ins Nichts führt. Ihre Arbeit ist nicht die einzige, die sich in einem unterschwellig humorvollen oder anekdotischen Ton mit historischem Alltag auseinandersetzt, ohne aber dessen heute kaum vorstellbare Schwierigkeiten zu verharmlosen oder zu ironisieren.
Überdimensioniert und surrealistisch wirken die Bohnenobjekte der Installation Fabula Faba von Werner Müller, der damit das Thema des Alltags und der Nahrungsmittel zur  Zeit von Ehrenbreitstein als militärische Garnison aufgreift. Ines Brauns Installation mit dem provokanten Namen  Pfeffer im Arsch gibt wortwörtlich Empfehlungen von Pferdehändlern und Rosstäuschern wieder, die auf dem Pferdemarkt die Tiere auf spezielle Art präparierten, damit diese jünger und kräftiger erscheinen konnten. Das unbewegliche Schaukelpferd mit Bockschädel ist ein ironischer Kommentar zum Ergebnis solcher Kaufaktionen und führt „in medias res“, in den Alltag eines Pflichtsoldaten auf der Festung.
Eine hingegen betont nostalgische Note haben die drei Collagen von Isa Steinhäuser, die einen Blick auf das Leben dreier Inhaftierter werfen, die Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Festung Ehrenbreitstein eingesperrt waren. Die Künstlerin spürt in Gedanken dem Leben dieser Männer nach, sieht durch ihre Augen hindurch, versucht ihr Leid als Gefangene nachzuempfinden. Fußspuren, Pflanzen- und Schriftauszüge sowie geisterhaft wirkende Gesichter sind Bruchstücke ganzer Existenzen, von denen nur noch die Festungsmauern Zeugnis ablegen. Um das Thema der Festungshaft kreisen auch die aus transluzidem Alabaster geschaffenen Plastiken von Peter Goehlen mit dem Titel Ein Kunstwerk in einer Gefängniszelle, die der Künstler in allen Zellen des Festungsgefängnisses platziert, ähnlich einer „Art von Brot“ für den vom Leben abgeschnittenen Gefangenen. Die strikt geometrische Form der Skulpturen symbolisiert die Nahrung der Gefangenen, wobei offen bleibt, um welche Art von Nahrung es sich handelt es könnte schließlich nicht zwingend essbare, sondern auch geistige Nahrung sein. Ein weiteres Werk von Peter Goehlen sind die Himmelslinien, eine aus 4.500 Meter feinen Schnüren bestehende Fadenskulptur.
Die Stahlplastik Wächter von Christoph Mancke präsentiert nicht die allegorische Gestalt eines Soldaten oder eines Wächters. Die rostige, freistehende Stahlplastik am Eingang zum Kanonengang ähnelt vielmehr einem schlichten Pfeiler mit kubischem Kapitell, der in Korrespondenz zur umgebenden Architektur und zu den dahinter befindlichen Rundbögen steht. Die kantige Gestalt wirkt schlicht, rau und naturverbunden – der einzige Hinweis auf die Thematik der formreduzierten Plastik gibt ihr historischer Kontext: die ehemaligen preußischen Soldaten, Bewacher und zugleich Verteidiger der Militärgarnison. Die strikte, militärisch anmutende Ästhetik der zehn Stelen aus Robinienholz und Schlagmetall von Jan Schröder ruft Assoziationen an die lineare Anordnung preußischer Soldaten beim morgendlichen Appell ins Gedächtnis. Die Ästhetik einer solchen Ordnung wird keineswegs durch den unterschiedlichen Wuchs des jeweiligen Baumstammes aufgehoben, sondern entsteht erst recht aus der Zusammenfügung beider Elemente, Chaos und Ordnung, die auf diese Weise den 3 Meter hohen Plastiken den Anschein von menschlichen Gestalten zu verleihen vermögen. Violetta Richard hinterfragt in der Installation nachGang.37, welche Gültigkeit die preußischen Tugenden wie beispielsweise Ordnung, Disziplin, Gehorsam, Pünktlichkeit, Fleiß, Pflichtbewusstsein oder Sparsamkeit in der heutigen Zeit noch haben. Ihr Referenzwerk ist der Preußische Telegraphencode, der zwischen 1832 und 1849 Berlin und Koblenz verbunden hatte. Die überdimensionierte Papierbahn ihrer Installation versinnbildlicht die bestehende historische Verbindung zwischen dem Damals und dem Heute, die die Überlieferung von Werten, Sichtweisen und Wissen gewährleisten kann. Ihr Interesse gilt dabei vor allem den dazwischen befindlichen, oft prekären Prozessen der Transmission von Generation zu Generation.
Indessen greift der künstlerische Dialog keineswegs nur auf die preußische Vergangenheit der Festung zurück, sondern bezieht komplex andere Epochen der Festungsgeschichte, aber auch die unterschiedlichsten Formen historischer Auseinandersetzung ein. Iris Stephan lässt mit ihrer Installation Dosenfleisch und Nylonstrümpfe die bedrückende Atmosphäre des Nachkriegsdeutschlands entstehen. Sie inszeniert die Küche der auf der Festung rekonstruierten Nachkriegswohnung mit Collagen und Objekten nach, die in ihrer Bildsprache an das Deutschland der 1950er Jahre erinnern,  und kreiert so einen Raum für Erinnerungen und Emotionen. Auch in Rolf A. Kluenters Video-, Fotografie- und Objektinstallation Jenseits meines Tisches werden Erinnerungen wachgerufen und sichtbar gemacht. Sie finden sich in der Nebeneinanderfügung der fotografischen Aufnahmen wieder, die das Flüchtige des Augenblicks und zugleich das Bleibende der Emotionen der Protagonistin, aus deren Sicht berichtet wird, miteinander verbinden. Der fortlaufende Umgang des Individuums und der Gesellschaft mit der eigenen Vergangenheit sind, Kluenter zufolge, eine unverzichtbare Grundlage für eine gelingende Erinnerungskultur und zugleich auch ein wichtiger Ansatz im Identitätsdiskurs.
Yris Geigers Fotoarbeit Der Heilige Rock steht für den Wert, den bestimmte Gegenstände oder Vorstellungen haben, und thematisiert zugleich den Wertverlust dieser Vorstellungen. Dem Gefühl der Entwurzelung und der Reizüberflutung, das dem zeitgenössischen Menschen allgemein bekannt ist, setzt die Künstlerin die Tunika Jesu entgegen, eine der kostbarsten Reliquien des Trierer Doms, aufbewahrt auf der Festung Ehrenbreitstein zwischen 1657 und 1794. Geigers Arbeit verweist symbolisch auf das, was den heutigen Menschen kleiden, ihm Halt und Schutz bieten, ihm eine geistige Ausrichtung auf das Höhere vermitteln kann, jenseits des von alltäglichen Sorgen geplagten Lebens, und ihn damit spirituell verwandelt.
 Martine Andernachs Arbeiten, seien es ganzfigurige Darstellungen oder Körperfragmente wie Köpfe oder Torsi, weisen stets eine zunehmende Radikalisierung der Flächenschnitte, charakterisiert durch die subtile Eleganz des Linienschwungs und des Gesamtkörpervolumens, auf. Für Nexus III wählte sie drei urzeitliche Frauenfiguren aus der archäologischen Sammlung des Landesmuseums. Idol heißt die patinierte, geometrische, langgestreckte, durch weiche Bogenschwünge anthropomorph anmutende Form, die über einen dünnen Stab mit einem sockelartigen Unterkörper verbunden ist. Einem Idol aus Urzeiten ähnlich, gelingt es Andernachs Plastik, die Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Gottesbild aufzuzeigen, ein Bindeglied zwischen Irdischem und Überirdischem zu sein, zwischen Materie und Geist, und zugleich den schwierigen Prozess der handwerklichen Gestaltgebung und künstlerisch-geistiger Formfindung aufzuzeigen.
Auf Spurensuche nach einem vorgeschichtlichen Geheimnis der Festung begeben sich Aloys Rump und Manfred Schling. Sie erfinden nach dem Modell der Fake News die Geschichte einer Ausgrabung im Bereich der Festung, die die kostbare Kleidung einer vergessenen Prinzessin zutage befördert haben soll. Die Installation zeigt ein erfundenes Szenario, will jedoch niemanden hintergehen, sondern vielmehr die heutzutage allgemein empfundene Verunsicherung angesichts der in den Medien nicht länger möglichen Trennung von Fiktion und Täuschung künstlerisch verarbeiten. Während aus psychologischer Sicht das Vorhandensein von Täuschungssituationen durchaus Dissoziationsgefühle verursachen kann, vermag aus künstlerischer Sicht gerade der Zugang zur Ebene der Imagination auf subtiler und mannigfaltiger Weise zu beflügeln. Ihre Arbeit ist eine Einladung an den Betrachter, den eigenen Erfindungsdrang frei zuzulassen, den Charme der düsteren Festung mit frischem Blick erneut wahrzunehmen.
 Lillie Khan stellt in ihrer 3-D-Simulation Quo Vadis die Frage, in welcher Weise Geschichtskenntnisse und Geschichtsbewusstsein die Identitätssuche und -findung des Menschen im 21. Jahrhundert beeinflussen. Im Mittelpunkt steht der wie mittels einer Guillotine vom Körper abgetrennt wirkende Kopf der Künstlerin, mit konzentriertem, fast leidenden Gesichtsausdruck und geschlossenen Augen wiedergegeben. Khan erinnert daran, wie Menschen infolge von fragwürdigen Moralvorstellungen und Entscheidungen ihr Leben verlieren konnten. Gleichzeitig richtet die Künstlerin ihren Blick nach vorne und verdeutlicht, dass kommende Generationen auch uns, angesichts des heutzutage Geschehenden, kritisch betrachten und hinterfragen werden. Die gemeinsame Arbeit von Lilli Engel und Raffael Rheinsberg erscheint in diesem Zusammenhang wie eine Antwort auf Lillie Khans Werk. Der Titel ihrer Installation mit Bombenattrappe besteht aus dem Schlusspart der dritten Strophe aus Berthold Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“. Die Installation der mit einem Mantel gekleideten Bombe wirkt anthropomorph, zugleich suggestiv und mahnend. Die Arbeit der beiden Künstler verweist symbolisch auf die aktuell weltweit stattfindenden Kriege, die Politik der Aufrüstung und den verantwortungslosen Umgang mit Menschenleben. Dem Beispiel Brechts folgend, bitten die Künstler „die Nachgeborenen“ um Nachsicht und plädieren für eine Welt, die von Verständnis und Solidarität bestimmt wird. Für Christel Herrmann  ist die Festung ein Ort, der seine originäre Funktion verloren hat. Die Vergegenwärtigung dieser Tatsache ist die Grundlage für Hermanns Installation aus leichten, kokonartigen Gebilden ähnlichen Kunstharzobjekten, angestrahlt von der Projektion des Festungsgrundrisses. Sie hängen von der Decke herab, in sich geschlossen, jedoch ausgesprochen fragil, Geistererscheinungen ähnlich. In ihrem Inneren mögen sie das Ungreifbare und Flüchtige von Gedanken und Erinnerungen enthalten, die Spuren der Vergangenheit in den nun leblosen Räumen der ehemaligen Militärgarnison, an deren Bedeutung eine ebenso sensible wie angreifbare Kultur der Erinnerung gemahnt.
 Die Festung Ehrenbreitstein erscheint bei Elisabeth Hansen in ihrer Verletzlichkeit. Die Malerin beobachtet, wie die Natur in ihrem wilden Wachstumsdrang die vom Menschen geschaffenen Räume, insbesondere die Mauern, allmählich zu überdecken droht. Auf Plexiglas malt sie abstrakte Formen in unterschiedlicher Farbtonalität, die an die Spuren der Zeit an Wänden erinnern. Die durchsichtigen Arbeiten wurden auf der Mauerfläche aufgehängt. Für den Betrachter entsteht so das reizvolle Spiel der Suche nach den gemalten Partien und künstlerischen Formen einerseits und den noch immer sichtbaren natürlichen, infolge von Witterung und Alter entstandenen Verfärbungen der Mauer, die den Hintergrund optisch mitgestalten. Durch diesen integrierenden Gestus der Kunst von Hansen werden sie Teil eines Ganzen, weder versteckt noch verdrängt.
 Auch in der Arbeit, die Eva Maria Enders zeigt, wird Ehrenbreitstein als Ort historisch-kultureller Prozesse gedeutet, der vom menschlichen Leben zutiefst geprägt wurde, zugleich aber als geheimnisvolles Reich jener Organismen, deren Entstehung und Wachstum eng verknüpft sind mit der Geschichte der besiedelten Lebensräume. Bei der Interpretation der Festung ging Enders von den genügsamsten, ausdauerndsten und langlebigsten ihrer „Bewohner“ aus, den Landkartenflechten, die mit ihrer Farbigkeit ganze Mauerabschnitte über Jahrhunderte hinweg optisch mitgestaltet haben. Sie sind stumme Zeugen einer Geschichte, die sie in ihrer inneren Substanz tragen, aufgesogen haben und jederzeit nachweisen können – denn Flechte können hervorragend zur Altersdatierung genutzt werden.
Die allgegenwärtige Bogenstruktur der Festung, die die Künstlerin während ihres Verweilens in den Räumen der Festung beobachtet hat, wurde bei Dorothea Kirsch zum Ausgangspunkt bei der Entstehung ihrer geschweißten filigranen Plastiken aus Drahtkonstruktion und Nylon, den Flughunden. Im Kontrast zur Schwere der Mauern und ihrer kühlen, schmucklosen Verschlossenheit entwickelte sie fremd und bizarr anmutende Wesen mit geschwungenen Formen, mehr luftig als materiell, zugleich Vögel und Tiefseewesen, Zwitterwesen aus Blüten, Algen und Schnecken, die sie von den Gewölben in der Poterne I, II, III herabhängen ließ, damit all die Formenvielfalt der Welt außerhalb der Mauern doch einmal in sie hineingetragen werden kann.
Die aus überdimensionalen, leuchtend gelben Lettern bestehende Textinstallation Ausgang des Mondes von Julia Schneider, angebracht am Glasgeländer der alten Weinwirtschaft, bezieht sich auf einen Alptraum, den die Künstlerin nach einem Aufenthalt auf der Festung hatte. Die Arbeit, die aufgrund ihres Titels zunächst poetische Assoziationen weckt, zugleich aber aufgrund ihrer Platzierung wie ein Ausrufezeichen wirkt, macht die Diskrepanz deutlich zwischen der spontanen, möglicherweise positiv konnotierten Assoziation des Betrachters, der vielleicht an die Schönheit eines Mondaufgangs denken mag, und dem dahinter liegenden, noch verborgenen Inhalt des Traums, den die Künstlerin selbst aufdeckt.
Die Festung Ehrenbreitstein muss indessen keineswegs, trotz ihrer Geschichte und beeindruckenden Architektur, zu Alpträumen Anlass geben. Helke Stiebel fängt stimmungsvolle, flüchtige Einwirkungen von Lichtstrahlen auf den alten Festungsmauern ein. Ihre Fotoarbeit in der Poterne, für die sie keine Nachbearbeitung mit technischen Mitteln vorgenommen hat, ist das Resultat eines sensiblen Aufspürens der „unbeobachteten Dinge“, die in der Festung stattfinden, an denen die Besucher eilig vorbeigehen wie Lichtstimmungen, die Rätselhaftes aufscheinen lassen, um dann wieder zu vergehen. Stiebels Arbeit thematisiert im höchsten Maße die Fähigkeit, zu sehen, und ermutigt zur aufmerksamen, intensiven, fast meditativen Konzentration auf das Hier und Jetzt, die keine Spukgestalten entstehen lässt, sondern eben das zeigt, was tatsächlich ist. Die Magie des Augenblicks, festgehalten mit der Kamera, ist auch das Thema der Fotoserie von Firouzeh Goergen Ossouli. Die Besucher treten in das Licht der Scheinwerfer und spielen beglückt mit ihrem Schatten. Durch ihre besondere Art, zu fotografieren, löst die Künstlerin die massiven Festungsmauern auf und lässt sie zu Vorhängen aus goldenem Licht und Funken werden. Vor diesem Hintergrund werden echte Menschen zu Gestalten aus einer anderen Welt, werden gefeiert und verewigt.

[Suzana Leu]