Interferenz
Die
Struktur, ob künstlerischer oder natürlich-biologischer Herkunft, ist für Eva
Maria Enders Ausgangspunkt imaginativer Auseinandersetzungen und minutiöser
Betrachtungen, die vom Mikro- zum Makrokosmos, von der wissenschaftlichen
Neugier zur künstlerischen Vision führen und Erkenntnisse jenseits der
sichtbaren Oberfläche des Materiellen vermitteln. In der Arbeit, die die
Künstlerin zeigt, wird Ehrenbreitstein als Ort historisch-kultureller Prozesse
gedeutet, der vom menschlichen Leben zutiefst geprägt wurde, zugleich aber auch
als geheimnisvolles Reich jener Organismen zu sehen ist, deren Entstehung und
Wachstum mit der Geschichte der besiedelten Lebensräume eng verknüpft sind. Bei
der Interpretation der Festung ging Enders von den genügsamsten, ausdauerndsten
und langlebigsten ihrer „Bewohner“ aus, den Landkartenflechten, symbiotischen
Lebensgemeinschaften zwischen Pilzen und Grünalgen, die mit ihrer Farbigkeit
ganze Mauerabschnitte über Jahrhunderte hinweg optisch mitgestaltet haben.
Ästhetisch reizvoll, sind die Flechten noch mehr als das: Sie sind stumme
Zeugen einer Geschichte, die sie in ihrer inneren Substanz tragen, aufgesogen
haben und jederzeit nachweisen können, denn Flechten können erwiesenermaßen
hervorragend zur Altersdatierung genutzt werden.
Wie
auch in früheren Arbeiten, beginnt Enders ihre Recherchen in der Natur. In den
drei Arrondi verbindet sie, einer
Alchemistin gleich, Materialverständnis mit dem Wissen über chemische Vorgänge.
Auf den runden Holzplatten verteilt sie nacheinander, im sukzessiven Aufbau,
Schichten von Gips, die sie jeweils mit verschiedenen Metallen und Säuren
behandelt, die mit den Metallen interagieren. Die neu entstandenen Strukturen
bilden ein zufälliges, lebendig wirkendes Ordnungsgefüge – der Begriff
„künstliche Organismen“ wird künstlerisch neu definiert. Der innere Feinbau der
Bildsprache unterliegt eigenen Prinzipien und einer speziellen Hierarchie. Dies
lässt an die verborgene Logik von natürlichen Wachstumsprozessen denken.
Angelehnt an die Natur werden auf chemischer Ebene künstlerisch fiktive
Parallelwelten geschaffen. Das Wechselspiel ihrer einzelnen Elemente, wie
Farben, Formen, Bewegung, Licht und Schatten, eröffnet dem Betrachter einen
Blick in eine neue, noch unbekannte morphologische Realität.
In
der dreischichtigen Leuchtinstallation Interferenz wird die Festung in einzelne
Kernstrukturen aufgegliedert. Die erste Schicht der drei übereinander
montierten transparenten Acrylglasplatten zeigt einen mit Flechten besetzten
Mauerabschnitt. Die organische Struktur der Flechte ergibt ein reizvolles Netz
aus leuchtenden Gelb- und Brauntönen bis hin zu blaugrünen und tiefschwarzen
Schattierungen. Auf den ersten Blick wirken sie sogar wie flüchtige Wasserreflexionen
des im Tal dahin fließenden Gewässers. Die darüber montierte zweite Platte
zeigt denselben Mauerabschnitt, nun aber verdeckt von dem in blauer Farbe,
schematisch wiedergegebenen Zusammenfluss von Rhein und Mosel am Deutschen Eck.
Die dritte und letzte Acrylglasplatte enthält den mit schwarzen Konturlinien
nachgezeichneten Teilgrundriss der Festung. In ihrer Zusammenstellung und im
Licht der Installation wirken die transparenten Schichten gemeinsam und
verstärken einander wirkungsvoll – es entsteht eine Interferenz, eine
Gleichzeitigkeit der drei Ebenen, durch die das Aufeinandertreffen der Motive,
Farben, Muster und zugleich Themen an einem einzigen Ort in Raum und Zeit
symbolisch aufgeladen wird. Der von Menschenhand geschaffene historische Bau an
einem geopolitisch einstmals sehr bedeutsamen geografischen Ort, hinterfangen
von den Flechtenschichten, den biologischen Datenspeichern, die jede
klimatische, geologische oder baugeschichtliche Veränderung festhält, wird
registriert und nach außen hin neu reflektiert.
[Autor: Suzana Leu]
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Eva Maria Enders
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