Freitag, 1. September 2017

3. Eva Maria Enders


Interferenz

Die Struktur, ob künstlerischer oder natürlich-biologischer Herkunft, ist für Eva Maria Enders Ausgangspunkt imaginativer Auseinandersetzungen und minutiöser Betrachtungen, die vom Mikro- zum Makrokosmos, von der wissenschaftlichen Neugier zur künstlerischen Vision führen und Erkenntnisse jenseits der sichtbaren Oberfläche des Materiellen vermitteln. In der Arbeit, die die Künstlerin zeigt, wird Ehrenbreitstein als Ort historisch-kultureller Prozesse gedeutet, der vom menschlichen Leben zutiefst geprägt wurde, zugleich aber auch als geheimnisvolles Reich jener Organismen zu sehen ist, deren Entstehung und Wachstum mit der Geschichte der besiedelten Lebensräume eng verknüpft sind. Bei der Interpretation der Festung ging Enders von den genügsamsten, ausdauerndsten und langlebigsten ihrer „Bewohner“ aus, den Landkartenflechten, symbiotischen Lebensgemeinschaften zwischen Pilzen und Grünalgen, die mit ihrer Farbigkeit ganze Mauerabschnitte über Jahrhunderte hinweg optisch mitgestaltet haben. Ästhetisch reizvoll, sind die Flechten noch mehr als das: Sie sind stumme Zeugen einer Geschichte, die sie in ihrer inneren Substanz tragen, aufgesogen haben und jederzeit nachweisen können, denn Flechten können erwiesenermaßen hervorragend zur Altersdatierung genutzt werden.

Wie auch in früheren Arbeiten, beginnt Enders ihre Recherchen in der Natur. In den drei Arrondi verbindet sie, einer Alchemistin gleich, Materialverständnis mit dem Wissen über chemische Vorgänge. Auf den runden Holzplatten verteilt sie nacheinander, im sukzessiven Aufbau, Schichten von Gips, die sie jeweils mit verschiedenen Metallen und Säuren behandelt, die mit den Metallen interagieren. Die neu entstandenen Strukturen bilden ein zufälliges, lebendig wirkendes Ordnungsgefüge – der Begriff „künstliche Organismen“ wird künstlerisch neu definiert. Der innere Feinbau der Bildsprache unterliegt eigenen Prinzipien und einer speziellen Hierarchie. Dies lässt an die verborgene Logik von natürlichen Wachstumsprozessen denken. Angelehnt an die Natur werden auf chemischer Ebene künstlerisch fiktive Parallelwelten geschaffen. Das Wechselspiel ihrer einzelnen Elemente, wie Farben, Formen, Bewegung, Licht und Schatten, eröffnet dem Betrachter einen Blick in eine neue, noch unbekannte morphologische Realität.






In der dreischichtigen Leuchtinstallation Interferenz wird die Festung in einzelne Kernstrukturen aufgegliedert. Die erste Schicht der drei übereinander montierten transparenten Acrylglasplatten zeigt einen mit Flechten besetzten Mauerabschnitt. Die organische Struktur der Flechte ergibt ein reizvolles Netz aus leuchtenden Gelb- und Brauntönen bis hin zu blaugrünen und tiefschwarzen Schattierungen. Auf den ersten Blick wirken sie sogar wie flüchtige Wasserreflexionen des im Tal dahin fließenden Gewässers. Die darüber montierte zweite Platte zeigt denselben Mauerabschnitt, nun aber verdeckt von dem in blauer Farbe, schematisch wiedergegebenen Zusammenfluss von Rhein und Mosel am Deutschen Eck. Die dritte und letzte Acrylglasplatte enthält den mit schwarzen Konturlinien nachgezeichneten Teilgrundriss der Festung. In ihrer Zusammenstellung und im Licht der Installation wirken die transparenten Schichten gemeinsam und verstärken einander wirkungsvoll – es entsteht eine Interferenz, eine Gleichzeitigkeit der drei Ebenen, durch die das Aufeinandertreffen der Motive, Farben, Muster und zugleich Themen an einem einzigen Ort in Raum und Zeit symbolisch aufgeladen wird. Der von Menschenhand geschaffene historische Bau an einem geopolitisch einstmals sehr bedeutsamen geografischen Ort, hinterfangen von den Flechtenschichten, den biologischen Datenspeichern, die jede klimatische, geologische oder baugeschichtliche Veränderung festhält, wird registriert und nach außen hin neu reflektiert.

[Autor: Suzana Leu]





Kontakt:

Eva Maria Enders
Erlenweg 27
56075 Koblenz
--
Am Planetarium 9A
07743 Jena
--
Germany
Tel 0049(0)26152417 Fax 0049(0)26154769
Website: www.enders.info