Wächter
Stolz, geradlinig und geheimnisvoll wächst die hohe,
auf wenige geometrische Umrisse reduzierte Figur von Christoph Mancke empor.
Der Bildhauer verzichtet konsequent auf jegliche Details oder Hinweise auf
Menschliches und erschafft für den Eingang zum Kanonengang eine rostige
freistehende Stahlplastik, ähnlich einem schlichten Pfeiler mit kubischem
Kapitel, eine säulenartige Gestalt in Korrespondenz zur umgebenden Architektur
und zu den dahinter befindlichen rundbogigen Eingängen. Die allansichtige
Gestalt, die man umrunden kann, passt sich farbig der Umgebung an, einem realen
Wächter gleich, der schweigsam und ausdauernd seinen Posten einhält.
Der suggestive Name „Wächter“ lässt den Betrachter
Assoziationen und Vergleiche mit anderen, bekannten Wächterfiguren der Kunst
oder der Weltliteratur anstellen: Bereits im Alten und Neuen Testament wird von
Wächtern des Himmels und Boten, später von Engeln und Erzengeln gesprochen, die
den Menschen Botschaften Gottes übermitteln, wie in der Ankündigung der Geburt
Jesu an die Jungfrau Maria. Doch auch die fernöstliche Welt kennt Wächter in
Form von Soldaten, wie beispielsweise die berühmte Terrakotta-Armee aus Xi’an,
die das Grab des ersten Kaisers Chinas, HuángDi, schützt. Aus der griechischen
Welt der Antike ist die Figur der Sphinx überliefert, eines Mischwesens aus
Löwe und Frau, die vorbeikommenden Reisenden Rätsel aufgibt, von deren Lösung
Leben oder Tod abhängen. Der ägyptische Sphinx oder chinesische Wächterfiguren
in Löwengestalt sind weitere, beliebte Repräsentationen einer übermenschlichen
Macht, deren Rolle es zumeist ist, das Reich der Normalsterblichen vom Reich
der Herrscher und der Himmelssöhne zu trennen und zu bewachen. Nicht zuletzt
sind es aus dem Bereich des Militärs oftmals Soldaten, die regelmäßig
Wachdienste übernehmen, wie die päpstliche Garde der Schweizersoldaten
beispielsweise oder die noch bekannteren britischen Queen’s Guards, die am
Eingang des Buckingham Palace, zur Erquickung zahlreicher Touristen, wie
versteinert mimik- und regungslos verharren.
Die Figur von Christoph Mancke enthält keines dieser
narrativen Details, sie erzählt keine Geschichte, die anhand von Attributen
nachvollziehbar werden könnte. Sie präsentiert auch nicht die allegorische
Gestalt eines Soldaten oder Wächters, erhöht auf einem Sockel, und sie weist
darum auf keine bestimmte Person hin. Sie steht ebenerdig, aufrecht gehalten
von einer dünnen Plinthe. Trotz ihrer Höhe vermittelt sie den Anschein, Teil
der realen Welt zu sein, konfrontiert jedoch aufgrund ihrer Höhe den Betrachter
mit ihrer majestätischen, enigmatischen Präsenz. All das gehört zum
künstlerischen Gesamtkonzept von Manckes Werk, der Gesetzmäßigkeiten des Lebens
thematisiert, befreit von Zwang und Uniformität, denn jede seiner Arbeiten ist
ihrer Beschaffenheit und Aufstellung wegen, in Relation mit dem
Aufstellungsort, einzigartig, individuell, nicht angepasst. Es steckt eine Absicht
dahinter, die Intention nämlich, ein offenes Kunstwerk und keine Naturabbildung
zu erschaffen, die die Vorstellungskraft des Betrachters einnehmen und nur eine
einzige Sinngebung erlauben würde. Stattdessen sind nur sensible Beobachtung
und langes Betrachten möglich, Nachsinnen und Reflexion sowie die
Berücksichtigung der Gesamtwirkung der Stahlplastik im offenen Raum, ihre
Alleinstellung und Isolation inmitten des Kanonengangs. Kommunizieren kann sie
nur über das Medium des Materials, des Stahls, über die glatte Anspannung der
Oberflächen, den präzisen Linienverlauf ihrer Konturen oder über die samtige
Wirkung der rostigen Patina. Sie wirkt naturverbunden, rau und schlicht –
vielleicht doch ein Hinweis auf die Thematik der formreduzierten Plastik: die
ehemaligen preußischen Soldaten, Bewacher und zugleich Verteidiger der
ehemaligen Militärgarnison, die im 19. Jahrhundert bis zu 1500 Mann beherbergt
hatte, abwesende Gestalten und Angehörige der Vergangenheit in der heutigen
Zeit, von denen aber gerade die Konstruktion der Festung überall Erinnerungen
bereithält.
[Autor: Suzana Leu]
Kontakt:
Christoph Mancke
www.mancke.de
1953 geboren in Schönecken/Eifel
1972-1977 Studium der Bildhauerei an der FH Dortmund