Freitag, 1. September 2017

13. Rolf A. Kluenter








Jenseits meines Tisches
Ehrenbreitstein sah Epochen vorbeiziehen. Die historische Referenz der Video-, Fotografie und Objekt-Installation Jenseits meines Tisches sind die Nachkriegsjahre des Zweiten Weltkrieges. Das Jahr 1956 ist hierbei die konkrete Zeit-Raum-Achse, aus der sich das Narrativ fortschreitend bis in die Gegenwart entwickelt. Gleichzeitig jedoch bildet der Zeitpunkt 1956 auch das Zeitfenster für die noch nachhaltig vorbeiziehenden Erinnerungen an das Jahrzehnt davor.
Erinnerungen einer Familien-Flüchtlingsgeschichte infolge des Zweiten Weltkrieges werden erzählt, in denen die „Tragweite“ eines Tisches, seine „bedeutsame Beschaffenheit“ das zentrale narrative Motiv ist.
Der Verkauf eines wertvollen Tisches, der als Teil ihres letzten Hab und Guts vor der Zerstörung gerettet wurde, gewährt der aus dem Osten geflohenen Familie die Grundlage für einen existenziellen Neubeginn in den späten Nachkriegsjahren in Koblenz. Mit der Eröffnung ihres 1956 gebauten Pensionshauses auf dem kleinen Hügel am Löwentor begann dann endlich für die Familie ein neues Leben. Der Dreh- und Angelpunkt des Pensionshauses wurde die Gastfreundschaft, die bis in die Gegenwart stark und lebendig geblieben ist. Die besondere Lage des Hauses bietet neben einer guten Aussicht auf die Stadt auch einen großartigen Blick auf die Festung Ehrenbreitstein – die jahrhundertelange, thronende „Autorität“ und Wache über Koblenz. Mit der Panoramaaussicht verbindet sich stets auch ein Fenster in die Vergangenheit.
„Jenseits meines Tisches“ versucht Erinnerungen sichtbar zu machen. Erinnerungen setzen sich meist aus bildhaften Elementen und Szenen, die wie ein Film ablaufen, Geräuschen und Klangfarben, Geschmack, oft auch Gerüchen und vor allem Gefühlen zusammen. Mit der Handlung „den Tisch decken“, also Besteck und Geschirr nach gesellschaftlichen Normen auf den Tisch legen, werden dann konkret und auch im metaphorischen Sinne Erinnerungsfragmente der Erzählerin, aus deren Sicht berichtet, „aufgetischt“.
Die unberechenbar und plötzlich aus dem Langzeitgedächtnis an die Oberfläche des Bewusstseins gelangenden Erinnerungen spiegeln verschiedene Zeitebenen und sehr unterschiedliche emotionale Temperaturen wider. Sie finden sich in meiner Arbeit in der Nebeneinanderfügung der fotografischen Aufnahmen, die das Flüchtige des Augenblicks und zugleich das Bleibende der Emotionen der Protagonistin, meiner Erzählerin, vor Augen führen. Beim „Abdecken des Tisches“, dem „reinen Tisch machen“ werden Empfindungen und Gedanken in Einklang gebracht und damit vielleicht die Voraussetzungen für einen Neubeginn geschaffen, um jenseits des Tisches schauen zu können.
Der fortlaufende Umgang des Individuums und der Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit und ihrer Geschichte bietet die dynamische Grundlage für eine wertvolle Erinnerungskultur. Hierbei finden wir auch einen wichtigen Ansatz im Diskurs zur Identität.




 Atelier:
In Shanghai/ China