Jenseits
meines Tisches
Ehrenbreitstein sah Epochen vorbeiziehen. Die
historische Referenz der Video-, Fotografie und Objekt-Installation Jenseits
meines Tisches sind die Nachkriegsjahre des Zweiten Weltkrieges. Das Jahr 1956
ist hierbei die konkrete Zeit-Raum-Achse, aus der sich das Narrativ
fortschreitend bis in die Gegenwart entwickelt. Gleichzeitig jedoch bildet der
Zeitpunkt 1956 auch das Zeitfenster für die noch nachhaltig vorbeiziehenden
Erinnerungen an das Jahrzehnt davor.
Erinnerungen einer Familien-Flüchtlingsgeschichte
infolge des Zweiten Weltkrieges werden erzählt, in denen die „Tragweite“ eines
Tisches, seine „bedeutsame Beschaffenheit“ das zentrale narrative Motiv ist.
Der Verkauf eines wertvollen Tisches, der als Teil
ihres letzten Hab und Guts vor der Zerstörung gerettet wurde, gewährt der aus
dem Osten geflohenen Familie die Grundlage für einen existenziellen Neubeginn
in den späten Nachkriegsjahren in Koblenz. Mit der Eröffnung ihres 1956
gebauten Pensionshauses auf dem kleinen Hügel am Löwentor begann dann endlich
für die Familie ein neues Leben. Der Dreh- und Angelpunkt des Pensionshauses
wurde die Gastfreundschaft, die bis in die Gegenwart stark und lebendig
geblieben ist. Die besondere Lage des Hauses bietet neben einer guten Aussicht
auf die Stadt auch einen großartigen Blick auf die Festung Ehrenbreitstein –
die jahrhundertelange, thronende „Autorität“ und Wache über Koblenz. Mit der
Panoramaaussicht verbindet sich stets auch ein Fenster in die Vergangenheit.
„Jenseits meines Tisches“ versucht Erinnerungen
sichtbar zu machen. Erinnerungen setzen sich meist aus bildhaften Elementen und
Szenen, die wie ein Film ablaufen, Geräuschen und Klangfarben, Geschmack, oft
auch Gerüchen und vor allem Gefühlen zusammen. Mit der Handlung „den Tisch
decken“, also Besteck und Geschirr nach gesellschaftlichen Normen auf den Tisch
legen, werden dann konkret und auch im metaphorischen Sinne
Erinnerungsfragmente der Erzählerin, aus deren Sicht berichtet, „aufgetischt“.
Die unberechenbar und plötzlich aus dem
Langzeitgedächtnis an die Oberfläche des Bewusstseins gelangenden Erinnerungen
spiegeln verschiedene Zeitebenen und sehr unterschiedliche emotionale
Temperaturen wider. Sie finden sich in meiner Arbeit in der Nebeneinanderfügung
der fotografischen Aufnahmen, die das Flüchtige des Augenblicks und zugleich
das Bleibende der Emotionen der Protagonistin, meiner Erzählerin, vor Augen
führen. Beim „Abdecken des Tisches“, dem „reinen Tisch machen“ werden
Empfindungen und Gedanken in Einklang gebracht und damit vielleicht die
Voraussetzungen für einen Neubeginn geschaffen, um jenseits des Tisches schauen
zu können.
Der fortlaufende Umgang des Individuums und der
Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit und ihrer Geschichte bietet die dynamische
Grundlage für eine wertvolle Erinnerungskultur. Hierbei finden wir auch einen
wichtigen Ansatz im Diskurs zur Identität.
Atelier:
In Shanghai/ China
In Shanghai/ China